Diarmuid und seine 13-jährige Suche nach Heilung

wall+24878 Tage an Krücken

„Es tut mir leid, aber dafür gibt es keine Heilung” – 1997 lag der Ire Diarmuid Brannick auf einer schwarzen Leder-Liege in der Praxis seines Facharztes, als er diesen Satz hörte.„Ich habe mir nur gedacht: Was zum Teufel weißt du denn? Der Mistkerl kannte mich doch gar nicht, ich wusste, ich werde wieder gesund, ich schaffe das!“, erzählt der heute 32-Jährige. Der Geruch des Leders, das kalte Gefühl der Liege auf der Haut – Diarmuid erinnert sich noch gut an den Moment, in dem ihm sein Arzt mitteilte, dass er an „Spondylitis ankylosans“ erkrankt sei und nie wieder ohne Krücken laufen werde. Wenn er von diesem Augenblick der Diagnose erzählt, dann tut er das in einer ziemlich deftigen Sprache. „What the hell?“ (was zur Hölle?), „fucking“ (verdammt), „shit“ (sch**ße) purzeln die Kraftausdrücke aus dem schmächtigen Mann mit den roten Haaren nur so heraus. Diarmuid will mit aller Kraft zeigen: Ich habe mich nicht unterkriegen lassen.

Mit 19 Jahren wurde bei ihm eine chronisch entzündliche rheumatische Erkrankung mit Schmerzen und Versteifung von Gelenken festgestellt: Die Krankheit names Spondylitis ankylosans („versteifende Wirbelentzündung“), auch Morbus Bechterew genannt, zerstörte seine beiden Hüftgelenke und führte dazu, dass diese mit seinem Becken verschmolzen. Dadurch konnte er nur noch gekrümmt stehen und nicht mehr ohne Gehhilfen laufen. Der Vorschlag der Ärzte damals: Ein chirurgischer Eingriff, um seine Hüftgelenke durch Endoprothesen zu ersetzen. Doch das lehnte Diarmuid ab: „eine OP kam damals nicht für mich infrage. Ich habe in die Selbstheilungskräfte meines Körpers vertraut. Für mich war meine Erkrankung eine Herausforderung, um an ihr zu wachsen“, erklärt er.

Was folgte, war eine dreizehnjährige Odyssee auf der Suche nach einer natürlichen Heilmethode – von 1997 bis 2010. Obwohl die Schulmedizin eine Heilung für unmöglich erklärt hatte, entschloss Diarmuid sich, die ganze Welt zu bereisen, um einen Weg zu finden, die Funktion seiner Hüftgelenke ohne chirurgischen Eingriff wieder herzustellen. Sein Reisetagebuch in Kürze: vier Kontinente, fast 5000 Reisetage und eine Vielzahl von eindrucksvollen Bekanntschaften und verrückten Abenteuern. Während dieser Reisen probierte er verschiedene Behandlungsmethoden aus, darunter unterschiedliche Diäten und Physiotherapien wie z.B. Akupunktur und Watsu (eine Art Massage- und Bewegungstherapie, die in warmem Wasser durchgeführt wird). In Russland ließ er seine Haut sogar mit „einer Art Malpinsel mit Metallborsten“ malträtieren, erinnert er sich und verzieht das Gesicht ein wenig. Doch eine der Methoden, die ihm am meisten geholfen hat, war die Russische Sauna (Banja), die durch ihren Wechsel von Heiß zu Kalt große Linderung seiner Entzündungen versprach. Seine Erfahrungen mit einem so genannten „Floating Tank“, bei dem er schwerelos in einem mit Salzwasser gefüllten, dunklen und schalldichten Tank schwebt, halfen ihm ebenfalls dabei, den Druck von seiner Wirbelsäule zu nehmen. Auch Fasten und das Rauchen von (nicht immer ärztlich verschriebenem) Marihuana halfen ihm dabei, die Schmerzen in den Griff zu bekommen.

Aber Diarmuid probierte nicht nur verschiedene Behandlungsmethoden aus, sondern traf auf seinem Weg auch viele außergewöhnliche Personen: Zum Beispiel Bas “El Guapo” Rutten, einen Kampfsport-Meisterkämpfer, der auf natürlichem Wege sein Asthma, Arthritis und eine schwere Hautkrankheit selbst heilen konnte. In das Kuriositätenkabinett – wie Diarmuid es selbst liebevoll nennt – reihte sich nahtlos Wim Hof ein, Yoga-Genie, Lebenskünstler, „Iceman“ und mehrfacher Weltrekordhalter, unter anderem für 110-minütiges Verharren in purem Eis –nur in Boxershorts. Der Wyoming-Indianer Dave Shaul führte Diarmuid hingegen in die Kunst des Schamanismus ein, indem er ihn zu einer traditionellen Zeremonie in einem Reservat mitnahm. Richard Bendler wiederum, ein ebenso berühmter, wie kontroverser Hypnotiseur, sowie Masaaki Hatsumi, der 34. Großmeister in einer ungebrochenen Linie der letzten neun lebendigen Traditionen von Ninjutsu, halfen ihm bei dem Erlernen von Meditationstechniken. Wenn Diarmuid von seinen Erlebnissen erzählt, gestikuliert er begeistert, erzählt aufgeregt von Feldenkraismethoden und buddhistischen Lehren – irgendwo zwischen verkanntem Philosoph und wild fluchendem 32-Jährigen, den man trotz seines Alters irgendwie immer noch als charismatischen Rotzlöffel bezeichnen möchte.

Doch bei allem Enthusiasmus für seine vergangenen Erlebnisse – nach 13 Jahren, in denen Diarmuid einige der ungewöhnlichsten Menschen der Welt kennen lernen und viele ausgefallene Abenteuer erleben durfte, konnte er irgendwann nicht mehr: „Es braucht viel Energie, um so etwas wie meine Erkrankung zu heilen. Ich denke, dass ich es in den letzten Jahren durch die vielen unterschiedlichen Therapien ziemlich gut geschafft habe, meinen Rücken und Nacken durch alternative Heilmethoden gesund zu halten, aber letztlich musste ich einfach zugeben, dass ich an diesem Punkt meines Lebens nicht mehr die Energie hatte, um meine Mission der Selbstheilung, die ich zu Beginn hatte, zu erfüllen“, erklärt er. Er war gerade in Kalifornien, um Geld für seine Heilungsversuche zu sammeln, als „etwas“ passierte, dass ihm die Augen öffnete und ihm zeigte, dass eine OP vielleicht doch der richtige Weg für ihn sein könnte. Diarmuid spricht die ganze Zeit nur von dem obskuren „Etwas” („something“), das mit ihm passiert sei. Er weiß nur, dass er eine Art Prozess der Selbsterkenntnis durchlaufen hat, an dessen Ende er Chirurgie schließlich als eine positive Möglichkeit akzeptieren konnte, die es ihm erlauben würde, vielleicht wieder ohne Hilfe laufen zu können. „Ich habe erkannt, dass mein Wunsch, mich selbst zu heilen, einen sehr geltungsbedürftigen und egoistischen Ursprung hatte. Ich war so in meiner eigenen Leidensgeschichte verfangen, dass ich irgendwie versuchen wollte, mich dadurch besser zu fühlen”, verrät er.

Kaum hatte Diarmuid die Möglichkeit einer OP akzeptiert, stellte sich auch schon die nächste Frage: Wie sollte er den chirurgischen Eingriff bezahlen? Um die Operation und das Rehabilitationsprogramm bezahlen zu können, brauchte er 28.822 Euro. Doch Diarmuid wäre nicht Diarmuid, wenn er nicht auch für dieses Problem schnell eine Lösung gefunden hätte: Er entschloss sich, das Geld mit einer speziellen Kampagne zu sammeln: Am 9. Oktober 2010 lief er vom Mount Carmel (Grafschaft Dublin) bis zum Hill of Tara (Grafschaft Meath). Das sind 100 km mit Krücken – und mit Hilfe einer kleinen Dosis „magic mushrooms“ (halluzinogenen Pilzen). Etwa 17 Stunden, nachdem er beim Mount Carmel gestartet war, kam Diarmuid gemeinsam mit Freunden und Unterstützern an seinem Zielort an – erschöpft, aber glücklich, denn er konnte durch Sponsoren 30.220 Euro bei seinem Lauf sammeln.

Schon elf Tage später war es soweit: Am 20. Oktober wurde Diarmuid in Chennai, Indien, in zwei OPs von dem Experten Dr. Vijay Bose operiert, um seine beiden Hüftgelenke durch Prothesen zu ersetzen. „Ich war sehr aufgeregt vor der OP, aber ich glaube eben auch, dass jedes Leben einen Weg hat und deshalb war ich bereit, meinen Weg weiter zu gehen“, erzählt Diarmuid.

Alles lief glatt, und nach der ersten OP fühlte er sich sofort mobiler. “Fucking euphoric. This whole thing is gonna be a piece of piss” (Fühle mich verflucht euphorisch, die ganze Sache wird ein verdammtes Kinderspiel), notierte er in gewohnter Diarmuid-Manier nach dem chirurgischen Eingriff in seinem Tagebuch. Doch nach dem zweiten Eingriff fühlte er sich deutlich schwächer. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten, die Blutarmut sorgte dafür, dass er ständig erschöpft war und das indische Klima machte ihm zu schaffen. Glücklicherweise ging es von der Hitze Indiens schnell in die Kälte, ins russische Perm. Dort absolvierte er fünf Monate lang ein intensives Rehabilitationsprogramm: Russische Sauna, Tiefenmassage, Pferdetherapie sowie tägliche Bewegungsübungen in der Turnhalle halfen ihm dabei, langsam mobiler zu werden.

„Natürlich hatte ich gehofft, mich schneller wieder vollständig bewegen zu können. Mich damit abzufinden, dass es länger dauern würde und schwieriger werden würde, als erhofft, war anfangs schwer zu akzeptieren“, gibt Diarmuid zu und fährt sich nachdenklich durch seinen wild wuchernden Bart. „Ha, ich sehe mit den Klamotten und dem Bart aus wie ein fucking Obdachloser, oder?“, ist der 32-Jährige (der nach eigenen Angaben nur einen Satz Kleidung besitzt) gleich wieder zum Scherzen aufgelegt, als er merkt, wie ich ihn mustere. Zack, wischt er die melancholischen Gedanken einfach vom Tisch. „Mittlerweile wurden meine negativen Emotionen ohnehin durch Aufregung, Zukunftserwartungen und große Dankbarkeit für meine Sponsoren und all die Menschen, die mich auf meinem Weg begleitet haben, abgelöst“, sagt er wie zur Bestätigung.

„Heute, fünf Monate nach meinen OPs, kann ich ohne Krücken laufen – naja „kind of“ (so ziemlich)“, schiebt er ein. Soll heißen: Eine normale Gangart ist ohne Gehhilfen noch nicht möglich und jeder Schritt kostet je nach Tagesform immer noch große Anstrengung. Doch bestärkt durch die Prognose seiner Ärzte ist Diarmuid sehr zuversichtlich, dass das Laufen immer besser werden wird. „Mich für den chirurgischen Eingriff zu entschließen, war eine der besten Entscheidungen meines Lebens”, ist er sich sicher.

Am Ende unseres Gesprächs zeigt er mir noch eine DVD: Diarmuid hat seine lange und oftmals kuriose Suche nach Heilung in seinem Film „Walking” verarbeitet. Als ich ihn nach der Kernbotschaft seiner Verfilmung frage, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „4878 Tage an Krücken – es ist Zeit, mit dem Zählen aufzuhören“.

Verena Zimmermann

 

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