Freee F2 – das Nutzfahrzeug

Zwei Räder, ein Sitz, viel Hightech – der auf einer Segway-Antriebseinheit aufbauende F2 des Urbacher Unternehmens Freee Mobility GmbH ist ein ziemlich spezielles Gefährt. Die RehaTreff-Redaktion hat es unter die Lupe genommen.

„Haben Sie eine Behinderung?“ Ein wenig argwöhnisch umkreist mich der Mann vom Sicherheitsdienst mit Blick auf mein Gefährt. Ort des Geschehens ist eine Ladenpassage in der Stuttgarter Innenstadt, genauer gesagt ein Schnellimbiss in dieser Ladenpassage. Mit meinem freundlichsten Lächeln versichere ich ihm, dass dieser fahrbare Untersatz für mich Rollstuhlfunktion hat und dass ich gänzlich gehunfähig bin. Die Auskunft genügt ihm. Mit einem „Na ja, normalerweise sehen Rollstühle ja auch anders aus“ verabschiedet er sich und setzt seinen Weg fort. Wow, denke ich mir, seh‘ ich mit dem Ding wirklich so unbehindert aus?

Mit dem F2 durch die Stuttgarter Einkaufspassage. Foto: wp
Mit dem F2 durch die Stuttgarter Einkaufspassage. Foto: wp

Seit einer guten Woche bin ich nun mit dem freee F2 als Testfahrzeug unterwegs, und Szenen wie diese sind inzwischen Gewohnheit. Mein feuerrotes Vehikel weckt Aufmerksamkeit. „Kipp‘ doch mal um“, fordert mich grinsend ein Jugendlicher auf. Ich lehne mich nach vorne und demonstriere ihm, was der Versuch „umzukippen“ bewirkt. Zügig beschleunigt der F2, gänzlich unbeeindruckt davon, dass der Weg knackig bergan führt. Die Art und Weise in der sich mein „Sitz-Segway“ dirigieren lässt, ist mir schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich solche Manöver ganz intuitiv ausführe.

„Wann kommt der Über-Stock-und-Stein-Rollstuhl?“ – diese Frage stellte ich im RehaTreff vor fünf Jahren, als auf YouTube Videos der ersten von Rollstuhlnutzern in Eigenregie „umgerüsteten“ Segways auftauchten. Das Potential der Spaßmobile für diese Zielgruppe lag auf der Hand. Die sich auf zwei Rädern elektronisch selbst ausbalancierenden Stehroller brachten eine konstruktionsbedingte Geländetauglichkeit mit, die Rollstühlen in der Regel fehlt und waren zugleich allein durch Gewichtsverlagerung präzise zu dirigieren. So etwas Rollstuhlfahrern zugänglich zu machen, würde diesen neue Horizonte erschließen, und zwar im Sinne des Wortes, dachte ich mir. Ich schloss meinen Artikel seinerzeit mit „Bleibt zu hoffen, dass bald jemand diese Geschäftsidee umsetzt“.

Das ist inzwischen geschehen. Verschiedene Hersteller bieten Fahrzeuge mit der originalen Segway-Technik an, umgerüstet für steh- und gehunfähige Nutzer. Einer dieser Hersteller ist die freee Mobility GmbH in Urbach bei Schorndorf, deren „F2“ genanntes Mobil ich erstmals auf der Rehacare in Düsseldorf sah. Dem Besuch auf dem Messestand folgte ein weiterer am Firmensitz, und im Januar dieses Jahres hatte ich erstmals Gelegenheit, den F2 unter die Lupe zu nehmen. Angesichts winterlicher Temperaturen wurde daraus ein Indoor-Test, der die Frage nach den Querfeldein-Qualitäten des Fahrzeugs weitgehend unbeantwortet ließ (RehaTreff 1/2015, Seite 28).

Das Abenteuer beginnt vor der Haustür

Im wahrlich sonnenverwöhnten Sommermonat Juli ist es nun endlich so weit, in Phase zwei des Tests zu erforschen, wie sich der F2 unter freiem Himmel macht. Was ich schon kenne, und was mich bereits im ersten Anlauf begeistert hatte, ist das Bedienkonzept an sich. Die intuitive Steuerung durch Verlagerung des Körperschwerpunktes und minimale Impulse über die Lenkstange vermitteln innerhalb kürzester Zeit das Gefühl, das Gefährt könne Gedanken lesen. Es entsteht eine Form der Fortbewegung, die vollkommen vergessen lässt, dass das Gefährt überhaupt gelenkt werden muss. Was es dazu braucht, ist allerdings ein Maß an Körperstabilität, das höher Gelähmte von der Nutzung ausschließt. Idealerweise sollten F2-Piloten frei sitzen und sich vor- und zurückbeugen können.

Stand im Winter vor jeder Nutzung des F2 die Verladeprozedur ins Auto, beginnt das Abenteuer diesmal direkt vor der Haustür. Da die Abmessungen des F2 nur unwesentlich die eines Aktivrollstuhl überschreiten, findet er in der Wohnung problemlos einen Parkplatz. Umsitzen, einschalten, losfahren, das geht einfach. Rein in den Aufzug, raus auf die Straße durch eine doppelte Schwingtür – Übungen, die dank der leichten Dirigierbarkeit des F2 sofort gelingen. Was nun folgt, ist ein einziger Spaß.

Bei strahlendem Sonnenschein laden umliegende Wälder, Felder und Wirtschaftswege förmlich zu ausgedehnten Streifzügen durch die Natur ein. Der F2 hat, wobei das trockene Wetter gewiss zupass kommt, keinerlei Probleme mit Wald- und Feldwegen, Wiesenüberquerungen, und nach kurzer Trainingsphase verlieren auch am Anfang etwas beängstigend anmutende Steigungen und Gefälle ihren Schrecken. Besonders angenehm: Durch das beständige Ausbalancieren bleibt das Fahrzeug immer in der Waagerechten. Bergab „schwebe“ ich förmlich, ohne je befürchten zu müssen, nach vorne das Übergewicht zu bekommen. Auf Quergefällen verlangt er allerdings nachdrücklich nach Lenkkorrekturen, weil er sich sonst immer in Richtung Gefälle dreht. Das ist am Anfang auf etwas stärker zur Fahrbahn hin abfallenden Gehwegen gewöhnungsbedürftig.

Wald
Der F2 lädt zu Entdeckungsreisen abseits befestigter Straßen ein.

Effizientes Multitalent

In der von mir getesteten, auf 20 km/h freigeschalteten Version erfüllt der F2 die Funktion eines veritablen Verkehrsmittels. Wieso für Erledigungen im vier Kilometer entfernten Nachbarort das Auto aus der Garage holen? Inklusive Rollstuhl verladen, hinfahren, Parkplatz suchen und Rollstuhl wieder ausladen braucht die Prozedur genausoviel Zeit wie die Fahrt mit dem F2 dorthin. Was ich in der Zeit des Tests besonders schätzen lerne, sind die unglaublich vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten dieses Transportmittels. Es ist so handlich wie ein normaler Rollstuhl, aber ungleich effizienter. Es lädt zur Erkundung von Wegen ein, die ich normalerweise meide, weil mir entweder der Untergrund zu beschwerlich ist oder zu große Steigungen zu bewältigen sind. Es taugt auf Kurzstrecken als Autoersatz.

Es hat eine praxistaugliche Reichweite von deutlich mehr als 20 Kilometern und verführt damit zum Umherstreifen aus purer Lust, sich ein wenig umzuschauen – das ist fast so wie Wandern. Eine genauso gute Figur macht es aber beim Shopping-Bummel in der City, denn es lässt sich millimetergenau zwischen den Regalen und Auslagen von Geschäften dirigieren und im Supermarkt bewegen. Ich passe damit problemlos in die Stadtbahn. Dank TÜV-Abnahme und Versicherungskennzeichen ist die Nutzung im Straßenverkehr möglich, obschon vielleicht nicht unbedingt empfehlenswert. Auf der anderen Seite kann ich aber auch Parks, Waldwege, Wirtschaftswege, Radwege und Fußgängerzonen nutzen – schließlich ist der F2 ein ganz normaler Rollstuhl, ich bin dort also quasi „Fußgänger“. Notiz am Rande: Während elektrische (Zusatz)antriebe am Rollstuhl zwar die Kräfte schonen, den Nutzer aber zugleich zur Passivität verdammen, vermittelt der F2 ein ganz anderes Fahrgefühl. Da er hauptsächlich durch Gewichtsverlagerung dirigiert wird, hat man ständig das Gefühl, körperlich aktiv zu sein. Kurz: Dieses Ding ist ein kurioses Multitalent, das seinem Nutzer ein definitives Plus an Lebensqualität verschafft.

Wo ist denn hier die Bremse?

Mit ein paar Eigenheiten muss ich mich während des Tests arrangieren, was mir aber ganz gut gelingt. Da der F2 zu zügiger Gangart einlädt, lerne ich rasch, vorausschauend zu fahren und nach Hindernissen Ausschau zu halten. Das einzige, was Unebenheiten abfedert, ist der Luftdruck der Reifen. Bar jeglicher weiteren Federung vermittelt der F2 damit ein knüppelhartes Fahrerlebnis und meldet Schlaglöcher unverzüglich an die Wirbelsäule. Das gilt logischerweise auch für Bordsteinkanten, die zu bezwingen sich nicht empfiehlt. Für jemanden wie mich, der solche Hindernisse im Aktivrollstuhl routinemäßig gekippt überwindet, verlangt das hier und da schon mal ein Umdenken.

Aufzug
Der F2 ist so präzise zu dirigieren, dass Alltagssituationen wie Aufzugfahren problemlos zu bewältigen sind.

Aber im Großen und Ganzen ist das Straßennetz, auf dem ich unterwegs bin, gut zu berollen. Und auf holperigen Wald-und Feldwegen käme ich ohnehin nicht auf die Idee, die Höchstgeschwindigkeit auszureizen. Ein veritables Manko ist der Mangel an Stauraum. Der F2 ist eine reine Fahrmaschine, und was immer man transportieren will, muss man am Körper tragen. Ein Rucksack löst das Problem nur bedingt, denn zum einen verhakt der sich gerne an der Rückenlehne, zum anderen verändert er die sensible Balance der Gesamtfuhre. Mit der korrekten Ausbalancierung vor Fahrtantritt steht und fällt ohnehin die Beherrschung des Gerätes. Schon kleine Verschiebungen nach vorn oder hinten auf dem Sitz beeinflussen das Fahrverhalten. Das ist insofern von Belang, wie eine ungünstige Sitzposition die Verlagerung des Gleichgewichts nach hinten erschweren kann, was nach den Segway-Gesetzen in einem längeren Bremsweg mündet. Diese Gesetze sollte verinnerlichen, wer gerne Gas gibt. Es gibt nirgendwo einen Bremshebel. Allein sich beherzt in die Rückenlehne zu werfen, führt zu nennenswerter Verzögerung.

Nachdem mein Test bei durchgängig hochsommerlichen Temperaturen stattfindet, verzichte ich bis auf wenige Ausnahmen darauf, den F2 im Auto umherzufahren. Wer das tun will, braucht als Rollstuhlfahrer einen Helfer, denn ein Fahrzeug von 60 Kilo Gewicht über Aluschienen in einen Kofferraum zu bugsieren ist eine Übung, die im Sitzen kaum zu bewältigen ist.

Wald 2
Schwebend bergab: Dass sich der F2 stets ausbalanciert, ist für den Fahrer sehr angenehm.

Tadellose Verarbeitung

Ein dickes Lob verdient die Verarbeitungsqualität des Fahrzeugs. Die Freee Mobility GmbH ist der Offspin eines Unternehmens, das auf die Fertigung von hochwertigen Kunststoffkomponenten spezialisiert ist, und das merkt man. Die Kunststoffkarosserie des F2 ist ursolide, nichts wackelt, nichts klappert. Der Sitz ist vertrauenerweckend stabil, und besonders angenehm sind die abklappbaren Seitenlehnen, die beim Transfer vom F2 auf den Rollstuhl oder einen Autositz komfortablen Halt bieten.

Von ähnlich tadelloser Qualität sind sicherheitsrelevante Komponenten wie die elektrisch ausfahrbaren Stützen, die beim Transfer auf den F2 und bei längeren Fahrtpausen für sicheren Stand sorgen, die Beleuchtungsanlage und das Bedienpanel, mit dem diese Funktionen angesteuert werden. Diese Zusatzelemente werden von einem getrennten Stromkreis gespeist, der über eine separate Stromversorgung verfügt, so dass beim „Auftanken“ des Fahrzeugs zwei Stecker in die dafür vorgesehenen Buchsen am Fahrzeug eingestöpselt werden müssen. Alles in allem ist der F2 ist kein umgebauter Segway, sondern ein rundum eigenständiges Fahrzeug.

„Das wollen sie nicht wirklich wissen“ war meine Standardantwort, wenn ich von Interessenten nach dem Kaufpreis für den F2 gefragt wurde. Das ist denn auch der Punkt, der potentiellen Käufern ein paar grundsätzliche Überlegungen abverlangt. 18.000 Euro kostet der F2 in der auf 20 km/h freigeschalteten Version, das maximal 10 km/h schnelle Pendant kostet 16.000 Euro. Beide Fahrzeuge sind identisch, die Preisdifferenz ergibt sich aus dem niedrigeren Mehrwertsteuersatz für das langsamere Fahrzeug, denn es ist im Gegensatz zu seinem schnelleren Geschwister als Elektrorollstuhl deklariert. Von dieser Sparoption kann ich nach den Erfahrungen meines Tests nur abraten, denn gerade die Möglichkeit der zügigen Fortbewegung über längere Distanzen macht viel vom spezifischen Nutzen des F2 aus. Ich bin für mich persönlich zu dem Schluss gekommen, dass der F2 sein Geld wert ist, wenn man die Anschaffung aus demselben Blickwinkel betrachtet wie den Kauf eines Motorrades. Das kauft auch kaum ein Mensch, um es a priori als Verkehrsmittel zu benutzen, der Spaßfaktor steht klar im Vordergrund. So gesehen ist für einen Rollstuhlnutzer der Kauf eines F2 sogar die vergleichsweise vernünftigere Entscheidung. Das Ding macht nicht nur jede Menge Spaß, es ist auch absolut nützlich.

wp

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