Interview: Karl Quade, Chef de Mission Paralympisches Team

Paralympics 2012 - Portraittermin
(Foto: DBS)

Mit einem deutlich kleineren Team als vor vier Jahren und ohne die früheren Medaillengaranten Verena Bentele, Martin Braxenthaler und Gerd Schönfelder startet das deutsche Team bei den Paralympics ab dem 7. März in Sotschi. Karl Quade, Chef de Mission der 13 Athleten, zwei Begleitläufer und ihrer 27 Betreuer, spricht über die sportlichen Chancen am Schwarzen Meer und die besonderen Herausforderungen des Behindertensports.

Herr Quade, bei der Rückkehr der Olympia-Mannschaft aus Sotschi hat Felix Loch einen Staffelstab an Anna Schaffelhuber übergeben. Leider war das Abschneiden des Olympiateams nicht so gut, wie erwartet. Kann das Paralympics-Team, 2010 immerhin auf Platz eins der Medaillenwertung, es besser machen? Welchen Erfolg erwarten Sie sich von Sotschi?

 Das ist auch bei uns sehr schwierig. Ich fürchte, wir werden deutlich kleinere Brötchen backen müssen als vor vier Jahren. Allerdings war der Erfolg in Vancouver auch nicht vorhersehbar. Jetzt haben wir vor allem bei den Frauen aber mindestens vier Athletinnen mit sehr guten Medaillenaussichten. Anja Wicker und Andrea Eskau im Ski nordisch und bei den Alpinen Andrea Rothfuss und Anna Schaffelhuber. Wenn bei diesen Top-Athletinnen die Form und  das Material stimmen, werden wir sicher deutlich im zweistelligen Medaillenbereich sein.

Apropos Material. Das ist offensichtlich immer ein Diskussionsthema bei Paralympischen Wettbewerben, Auch bei den Sommer-Paralympics in London, sogar innerhalb des deutschen Teams. Befürchten Sie, dass es in Sotschi dazu wieder kommt?

Ich hoffe natürlich, dass es diese Diskussionen nicht geben wird, weil das Material vorher schon im Weltcup eingesetzt wurde. Es gibt halt im paralympischen Wettkampf Regeln, die die Technik in ihre Schranken weist. Aber wenn die Geräte zugelassen sind, dürfen die Athleten sie auch nutzen.  So wird natürlich futuristisch anmutendes Material zum Einsatz kommen, wenn ich z.B. an den Schlitten von Andrea Eskau denke. Der hat mit dem üblichen Langlaufschlitten nicht mehr viel zu tun, denn er ist individuell auf bestimmte Winkelstellungen der Beine aufgrund ihrer Querschnittslähmung angepasst. Wenn aber beispielsweise eine Russin Protest gegen den Schlitten einlegen will, dann soll sie das machen. Bis jetzt ist er von den Regelwächtern abgenickt.

Für Laien ist nicht nur die Technik, sondern insbesondere das System der Klassifizierung nur schwer zu durchschauen. Wie funktioniert das im Wintersport?

Es werden für jeden Athleten entsprechend seiner Behinderung Prozente verteilt, die dann in Zeiten umgerechnet werden. Bei einem Athleten mit einer geringen Behinderung läuft die Uhr auch normalschnell. Wenn aber zum Beispiel unser Athlet Willi Brehm 5 km Freestyle läuft, tickt die Uhr nur mit 87 % der Normalgeschwindigkeit. Ein bisschen anders ist es bei den Sprintwettbewerben im Ski nordisch, da geht es ja darum, wer als Erster ankommt. Brehm als Voll-Blinder läuft dann von Punkt A ab, der Konkurrent, der noch über eine Rest-Sehfähigkeit verfügt, z.B. 75 Meter dahinter.

Starten dadurch wirklich alle Athleten mit den gleichen Chancen?

Für mich ist die Mischung von verschiedenen Arten der Behinderung im Ergebnis wichtig. Dass nicht nur Bein-Behinderte vorne sind und der Arm-Behinderte erst auf Platz zwölf kommt, sondern dass sich das mischt. Die Prozente scheinen in Ordnung zu sein, sodass nicht eine Art der Behinderung in der Wertung hinten runter fällt. Das ist zwar kein wissenschaftlicher Beweis für die Validität des Systems, aber immerhin ein Anhaltspunkt.

Trotzdem beschweren sich immer wieder Athleten über falsch eingestufte Konkurrenten. Kann man sich bei der Klassifizierung Vorteile  verschaffen?

Die einfachste Klassifizierung ist eine medizinische Klassifizierung, die gibt beispielsweise wenn es um Amputationen geht. Das ist eine einfache Sache, da kann ein Athlet schlechterdings kaum was machen. Auch bei Sehschädigungen gibt es heute Messsysteme, die das valide bestimmen. Die andere Möglichkeit ist die funktionelle Klassifizierung. Aber das ist deutlich schwieriger, denn es geht um die körperlichen Funktionen des Athleten. Wenn festgestellt wird, dass ein Sportler in eine bestimmte Klasse kommt, sich unauffällig verhält und bei Paralympics plötzlich mit tollen Leistungen glänzt, könnte man natürlich vermuten, er hat bei der Klassifizierung nicht konstruktiv mitgewirkt.

Ist der Behindertensport durch diese Undurchsichtigkeiten anfälliger als der Sport nicht-behinderter Athleten für Doping?

Wenn es um die Kontrollen außerhalb der Paralympics geht, gibt es in den einzelnen Ländern sicherlich große Unterschiede. Generell geht es aber im paralympischen Sport nicht um so viel Geld wie im olympischen Sport. Ich will allerdings nicht in der Haut von russischen Athleten stecken, denen nach den Paralympics für eine Goldmedaille 90.000 Dollar winken. Wenn man sich überlegt, was das in Russland bedeutet, weiß man auch, welcher Antrieb das sein kann, alles zu tun.

Welche Einstellung erwarten Sie sich vom Gastgeber Russland zum Thema Behindertensport?

Es ist wichtig, dass die Paralympischen Spiele die Situation für Menschen mit Behinderung insgesamt verbessern, das erwarten wir uns von Russland auch. Bislang haben die Russen immer wieder versucht, sehr euphorisch zu berichten, wie sich die Situation von Menschen mit Behinderung in diesem Riesenland ändert. Ich kann aber auch nur hoffen, dass das alles auch tatsächlich passiert.

Interview: Amelie Herberg und Frank Schneller

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