Interview mit DBS-Präsident Beucher: „Putin kann sich Krieg nicht erlauben“

Beucher
(Foto: DBS)

Angesichts der Krim-Krise sind Verbandspräsident Friedhelm Julius Beucher und die deutsche Paralympics-Mannschaft in Sotschi besorgt. Der Chef des Deutschen Behindertensportverbandes glaubt aber, dass die Spiele einen Friedensschutz darstellen.

Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), sieht angesichts der Krim-Krise zwei Tage vor dem Beginn «dunkle Wolken» über den Paralympics von Sotschi. Das sagte er im Interview der Nachrichtenagentur dpa. Der 67 Jahre alte Funktionär hält allerdings nichts von einem Boykott des deutschen Teams, sondern hofft auf ein Einlenken von Russlands Präsident Wladimir Putin.

Haben Sie angesichts der Krim-Krise an einen Boykott der deutschen Mannschaft bei den Paralympics in Russland gedacht?

Die Entwicklung ist bedrückend, wir sind mit großer Sorge hierhin gefahren. Aber Boykott macht nur Sinn, wenn es sehr viele machen. Ich setze auf die Einsicht von Herrn Putin und der russischen Regierung, dass sie den olympischen Eid respektieren und keine Kriegshandlungen zwischen Olympischen oder Paralympischen Spielen beginnen. Mit einem Boykott würden wir unseren Sportlern, die vier Jahre auf Sotschi hingearbeitet haben, auch eine große Chance nehmen.

Liegt über den Paralympics nicht dennoch schon vor ihrem Beginn am 7. März ein gewaltiger Schatten?

Über dem strahlenden Himmel, der seinen Glanz versprüht, sind viele dunkle Wolken. Sport und Politik kann man so scharf nicht trennen. Aber wir beteiligen uns auch nicht an irgendwelchen Drohszenarien. Kriegshandlungen und Olympische wie Paralympische Spiele schließen sich aus. Ich hoffe und glaube, dass die Paralympischen Spiele deshalb auch einen Friedensschutz darstellen für das Gebiet.

Glauben Sie denn, der russische Präsident Putin lässt sich von den teils scharfen internationalen Reaktionen beeindrucken?

Ich mag nicht darüber spekulieren. Aber er kann es sich doch gar nicht erlauben, jetzt kriegerische Handlungen zu beginnen – bei diesem weltweiten Aufschrei. Damit würde er sich die Lorbeeren selber wegnehmen, die durch die Olympischen Spiele entstanden sind.

In Sotschi ist für gigantische 51 Milliarden Dollar alles neu gebaut worden. Naturschützer haben sich bitter beklagt. Mit welchem Gefühl sind Sie hier?

Schon mit dem Bewusstsein, dass dort Sportanlagen in die Landschaft ohne Rücksicht auf Mensch und Natur gepresst worden sind. Russland ist auch kein besonders verteidigungssicherer Hort für Menschenrechte. Ich halte es ebenso für bedrückend und auch schlimm, dass Menschen dort nicht offen ihre Meinung sagen können – und wenn sie es tun, eingesperrt werden. Das ist nicht mein Land.

Hätten die Olympischen und Paralympischen Spiele nach Sotschi vergeben werden dürfen?

Mir steht es nicht an, als Präsident eines kleinen nationalen Verbandes Noten beim IOC zu verteilen.

In München wurde eine Bewerbung für Olympia 2022 von den Bürgern abgelehnt. Was muss das IOC künftig anders machen?

IOC und (der Fußball-Weltverband) FIFA müssen sich vorhalten lassen, nicht nur nach dem Sport in den Ländern zu gucken. In einer demokratischen Gesellschaft gehört auch der Respekt vor Menschenrechten und der Respekt vor der Natur dazu. Man bekommt Zustimmung, wenn die Menschen auch glaubwürdig nachvollziehen können: Da geht es nicht um Geld, sondern um Ausübung von Sport. Bei München 2022 beschimpfe ich nicht diejenigen, die beim Bürgerentscheid abgestimmt haben. Sondern da ist man in Sippenhaft genommen worden für Katar und Sotschi.

Mit welchen Zielen ist das deutsche Team angereist?

Wir wollen nicht hinterherfahren. Wir hoffen, dass die Leistungen abgerufen werden können, die wir in der Vorbereitung von Sotschi haben erleben dürfen. Wenn alle gesund sind, geht da was.

Warum gibt es keine konkrete Medaillenvorgabe?

Druck will ich schon aufbauen, dass alles, was man drauf hat, auch abgerufen wird. Wir sind nicht im Skiurlaub. Aber Medaillen zähle ich immer nach einem Wettbewerb und nicht in Spekulationsform vorher. Die internationale Leistungsspitze ist auch im Behindertenbereich sehr dicht beieinander.

Bei Olympia gab’s 19 von 30 erhofften Medaillen. Wollen Sie den Rest holen?

Ich könnte augenzwinkernd anführen: Wir sind ja eine große Sportfamilie. Vielleicht kann man helfen, dass wir die restlichen Medaillen holen, um die bei Olympia angepeilten 30 für den deutschen Sport nach Deutschland zu holen.

In wen setzen Sie die größten Hoffnungen?

Andrea Eskau ist in der Lage, in die übermächtige Phalanx der russischen nordischen Läuferinnen einzubrechen. Wenn es bei Andrea Rothfuß und Anna Schaffelhuber gut läuft, dann können sie vorne mitmischen.

Mit Verena Bentele, Gerd Schönfelder und Martin Braxenthaler haben die drei Besten von Vancouver 2010 aufgehört. Ist Ihre Mannschaft international trotzdem konkurrenzfähig?

Konkurrenzfähig sind wir, aber zwangsläufig nicht auf so hohem Niveau. Man kann solche drei Weltklasseathleten nicht innerhalb eines paralympischen Zeitraums ersetzen kann. Da braucht es eine längere zeit, das ist dann auch die Herausforderung für Pyeongchang. Wir fahren nach Sotschi und gucken schon nach Pyeongchang. In Anbetracht des Alters einiger Athleten ist Sotschi sicherlich für viele eine Etappe auf dem Weg dorthin.

Es gab Meldungen, wonach etwa Rollstuhlfahrer Probleme haben, sich in Sotschi fortzubewegen. Wie steht es um die Barrierefreiheit?

Ich hoffe, dass die Paralympischen Spiele wie schon in der Vergangenheit dem jeweiligen Land einen Schub in Richtung Barrierefreiheit und Anerkennung von Menschen mit Behinderung gibt. Das war in Peking anschaulich: Da wurde viel für ein anderes öffentliches Bewusstsein gemacht. Man muss in der Bilanz sagen: Da war es gut im Interesse der Menschen, dass die Spiele dort waren.

(dpa)

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