Wo Aroma das Augenlicht ersetzt

Im Four Senses werden die Speisen besonders aromatisch zubereitet, damit der Geschmack im Dunkeln intensiviert wird. (Foto: LWL/Hötte)

„Die Küche ist ein magischer Ort“, schwärmt Mohamed Zamantouti. Jeden Tag lässt sich der 23-Jährige aufs Neue von den Kochkünsten des Chefkochs David Esser verzaubern. Er ist stolz darauf, als Beikoch seinen Teil zum Gelingen der kulinarischen Kreationen beizutragen, die anschließend im Restaurant mit dem prägnanten Namen Four Senses serviert werden. Das sprichwörtliche Auge isst und kocht dabei nur sehr eingeschränkt mit. Denn Mohamed ist schwer sehbehindert. Und im Mönchengladbacher ‚Vier-Sinne-Haus‘ erleben Gäste, wie es sich ohne Augen schmaust.

Vorsichtig zerteilt Mohamed Zamantouti einen vor sich liegenden Kürbis, schneidet ihn in Stücke und entfernt nicht verwendbare Fasern und Kerne. Obwohl der junge Beikoch auf seinem linken Auge aufgrund einer Netzhautablösung völlig erblindet und auf dem anderen Auge hochgradig kurzsichtig ist, tut er dies mit einer Sorgfalt und Leichtigkeit, die von viel Routine und Sicherheit zeugt. „Ich habe während meiner Ausbildung im LWL-Berufsbildungswerk für blinde und sehbehinderte Menschen (BBW) viele Schneidetechniken erlernt, von denen ich hier profitiere. Mit Messern und Küchengeräten umzugehen, fällt mir nicht schwer“, berichtet Zamantouti. In der professionell ausgestatten Ausbildungsküche der Soester Berufsbildungsstätte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) konnte er auf viele behindertengerechte Hilfsmittel zurückgreifen: „Wir hatten beispielsweise Schneidebretter in unterschiedlichen Farben, damit sich das Fleisch oder Gemüse farblich vom Brett abhebt.“

Chefkoch David Esser (rechts) hilft Mohamed Zamantouti bei der Zubereitung einer Suppe. (Foto: LWL/Hötte)

Im Four Senses hat der gebürtige Mönchengladbacher einen Arbeitgeber gefunden, der sich planvoll um die Bedürfnisse seiner 14 Angestellten kümmert. „Wir achten zum Beispiel darauf, Möbel nicht umzuräumen, so dass sich unsere blinden und sehbehinderten Kollegen merken können, wo Hindernisse lauern“, so Chefkoch David Esser. In der Küche seien für alle Utensilien feste Plätze vorgesehen, damit sie für jeden schnell zu finden sind. Moderne Induktionstechnik an den Herden und große Displays sowie deutliche Beschriftungen unterstützen den Beikoch Zamantouti zusätzlich bei seiner Arbeit.

Das Four Senses in Zamantoutis Heimatstadt Mönchengladbach ist neben seiner Küche vor allem für sein Dunkelrestaurant bekannt. Für bis zu 20 Gäste kocht das Küchenteam um David Esser jeden Abend ein abwechslungsreiches Mehrgänge-Menü, das es in absoluter Dunkelheit zu genießen gilt. „Wir nehmen viele Gemüsesorten, die früher traditionell gegessen wurden und heute kaum noch bekannt sind. Die Gäste lernen so alte Geschmacksrichtungen teilweise ganz neu kennen und dürfen fleißig drauflos raten, was sie auf dem Teller haben“, erzählt der Küchenchef, der mit seinen Kollegen versucht, die Speisen besonders aromatisch zuzubereiten, damit der Geschmack über die Geruchswahrnehmung noch intensiviert wird. Dahinter steckt: Normalerweise verlassen sich die Menschen zu 80 Prozent auf die Wahrnehmung über ihre Augen. Nun sind die Nase, die Ohren oder auch feinfühlige Finger gefragt. „Der Duft der Speisen oder auch das Meeresrauschen, mit dem wir das Menü akustisch unterlegen, werden im Dunkeln viel aufmerksamer beachtet“, erklärt Geschäftsführerin Gisela Hüsges-Schnabel.

Als gelernter Beikoch kennt sich Mohamed Zamantouti mit den Garmethoden und Zubereitungstechniken aus, die eine Speise besonders lecker und aromatisch machen. Mal gart er Fleisch und Fisch im Vakuum bei Niedrigtemperatur, mal schält er Kartoffeln oder schneidet Gemüse, damit ein Kollege daraus ein Gericht kochen kann. „Bei uns wird kein Beikoch zur Aushilfe degradiert. Natürlich gehört Kartoffelschälen dazu, genauso wie das Anrichten einer aufwendigen Dessertkreation“, beschreibt Esser. Dass er genauso behandelt wird wie jeder andere Mitarbeiter auch, ist für Zamantouti nicht selbstverständlich. „Ich bin sehr froh, dass mich niemand auf meine Sehbehinderung reduziert und mir nur anspruchslose Aufgaben gibt“, freut sich der junge Mann, der es auch für wichtig hält, kritisiert zu werden, wenn er etwas falsch macht. „Ich möchte nicht in Watte gepackt werden, sondern meinen Job machen. Manchmal brauche ich vielleicht etwas länger, mit etwas Übung klappt es aber immer.“

Anspruchsvolle Dessertkreationen gehören ebenso zum Alltagsgeschäft wie das Kartoffelschälen. (Foto: LWL/Hötte)

Für Mohamed Zamantouti war es eine Art glücklicher Fügung, als sich vor 14 Monaten, kurz nach Eröffnung des Restaurants, die Möglichkeit ergab, im Four Senses zunächst zur Probe arbeiten zu können, um schließlich eingestellt zu werden. „Thomas König, Integrationsberater des Soester LWL-Berufsbildungs-werks,, hat den Kontakt hergestellt und ich habe mich vom ersten Tag an wohl gefühlt“, erinnert er sich.

„Unsere Auszubildenden müssen mindestens zwei Drittel des Fachwissens erlernen, das sich ein Koch während seiner regulären Berufsausbildung aneignet“, so Dirk Hupfeld, der als Küchenchef im LWL-Berufsbildungswerk auch Zamantouti mit ausgebildet hat und unter anderem die BBW-Mensa leitet. Seine Fertigkeiten konnte Zamantouti darüber hinaus während einer Praxisphase in der Großküche einer externen sozialen Einrichtung festigen. Nicht nur während der Praktika als Teil der Dualen Berufsausbildung gab es viel Abwechslung, auch in der Großküche des BBW selbst wurde es nie langweilig. „Die Ausbildung im BBW war genauso vielfältig wie die Gerichte, die wir gekocht haben“, so Zamantouti.
Abwechslungsreich und anspruchsvoll ist seine Tätigkeit geblieben. Nur die Arbeitszeiten haben sich verschoben. „Wer in der Regel abends und am Wochenende arbeitet, der muss schon mit Leidenschaft dabei sein“, erzählt der Beikoch. Zwei, drei Mal lässt sich der Beikoch einen Ablauf erklären, dann kann Zamantouti eigenständig eine Sauce oder ein Dessert zubereiten. Dass dabei hin und wieder etwas zu Bruch geht, ist für seinen Chefkoch ganz normal: „Teller sind ersetzbar, gute Mitarbeiter nicht.“

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